Dieser Beitrag wurde im Standard am 13. Jänner 2023 veröffentlicht.
Der Code of Conduct, die Reisekostenrichtlinie, die HR-Directive, der Project Management-Standard usw. haben eines gemeinsam: Sie sollen als interne Richtlinien das Verhalten der Mitarbeiter steuern. Dabei liegen Anspruch und Realität oft weit auseinander. Das gilt besonders für die rechtliche Verbindlichkeit von Richtlinien. Oft herrscht die irrige Annahme, dass Richtlinien im Konzern automatisch gültig sind „Hat der Vorstand beschlossen“. Relevant wird die Frage der Gültigkeit jedenfalls dann, wenn arbeitsrechtliche Konsequenzen auf die Verletzung einer Richtlinie gestützt werden, z.B. wenn eine Entlassung wegen der Verletzung des Code of Conduct ausgesprochen wird. Richtlinien sind auch die Grundlage für das Interne Kontrollsystem und das Compliance Management System, dazu kommt aktuell die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sehen Richtlinien nämlich als zentrales Instrument zur Steuerung im Unternehmen vor.
Welche Probleme gibt es, was sind die Ursachen?
Richtlinien sind als generelle schriftliche Weisungen an eine große Anzahl von Arbeitnehmern im Unternehmen gerichtet. Richtlinien sind damit statisch und stimmen nicht immer mit den laufenden Entwicklungen im Unternehmen bzw. Konzern überein. Im schlechtesten Fall können sich Arbeitnehmer keinen Überblick verschaffen welche Richtlinien für sie anwendbar sind. Zudem werden Begriffe oft nicht einheitlich verwendet und es kommt vor, dass Richtlinien vage oder zu abstrakt formuliert sind. Der Grund dafür ist, dass es keine Funktion für die Qualitätskontrolle gibt bzw. diese keine Diskussion zu Struktur, Regelungstiefe und Notwendigkeit mit den Stellen führt, die Richtlinien in Kraft setzen. Getrieben wird eine solche Entwicklung von Abteilungen, die durch die Erlassung vieler Richtlinien ihre Bedeutung besonders hervorheben wollen, von Abteilungen, die versuchen Verantwortung abzuschieben bzw. von Corporate Abteilungen, die steuern wollen, denen aber der Einblick in operative Tätigkeiten fehlt.
Speziell im Konzern wird aufgrund von Matrixstrukturen und funktionaler Steuerung auch immer wieder übersehen, dass das bloße Bestehen eines Konzernverhältnisses nicht zur Erlassung von unmittelbar verbindlichen Konzernrichtlinien ermächtigt. Auch ist oft nicht klar, dass die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis nur im Verhältnis zwischen der jeweiligen Gesellschaft und deren Arbeitnehmern besteht, nicht jedoch, im Verhältnis zwischen Konzernfunktionen der Muttergesellschaft (zB Corporate HSSE) und Arbeitnehmern in Tochtergesellschaften. Zwar ist es möglich, das fachliche Weisungsrecht an Konzernfunktionen zu übertragen, meistens fehlt aber eine solche Vereinbarung.
Umsetzung durch Vereinbarung
Entweder sind Richtlinien Bestandteil des Arbeitsvertrags oder die Pflicht zur Einhaltung ergibt sich auf Grundlage einer Weisung. Nachteil einer vertraglichen Vereinbarung ist, dass diese praktisch auf neu eintretende Arbeitnehmer beschränkt ist. Bei einem bestehenden Arbeitsverhältnis könnte zwar im Wege einer Zusatzvereinbarung die Geltung vereinbart werden, sie bedarf aber der Zustimmung des Arbeitnehmers. Eine solche ist erfahrungsgemäß nicht von allen Arbeitnehmern einzuholen, sodass zwar ein enormer administrativer Aufwand, aber kein zufriedenstellendes Ergebnis zu erwarten ist. Ergänzend sei noch hingewiesen, dass Richtlinien, deren Geltung vertraglich vereinbart wird, nach maßgeblicher Meinung als Vertragsformblätter einzuordnen sind und sie damit der Geltungs- und Inhaltskontrolle der §§ 864a und 879 Abs 3 ABGB unterliegen.
Weisung ist die bessere Variante
Der wesentliche Vorteil bei der Umsetzung durch eine Weisung liegt darin, dass die Gültigkeit keiner Zustimmung bedarf. Wie jede Willenserklärung muss sie dem Arbeitnehmer zugehen. „Rechtssicher“ ist die Umsetzung im Wege der Weisung beispielsweise dann, wenn der Arbeitnehmer vom disziplinären Vorgesetzten per E-Mail informiert wird, welche Richtlinien für ihn verbindlich sind, die Richtlinien dem E-Mail angeschlossen sind und der Arbeitnehmer den Zugang mit Lesebestätigung bestätigt. Zu beachten ist, dass die Weisung (im Unterschied zur Vereinbarung) auf die Konkretisierung bereits bestehender Pflichten beschränkt ist.
Unzulässiger Generalverweis
Die Vorgehensweise der persönlichen Verständigung samt Bestätigung ist aufwändig und wird immer weniger praktiziert. Dies führt dazu, dass entweder keine Weisungen erteilt werden und damit keine rechtliche Verbindlichkeit entsteht oder Weisungen (wie auch arbeitsvertragliche Bestimmungen) als Generalverweis formuliert werden: „Es gelten sämtliche für die Funktion anwendbaren Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung wie im Intranet unter … veröffentlicht“. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob solche Verweise zulässig sind. Jedenfalls unbillig und damit unverbindlich ist nach meiner Auffassung ein Generalverweis, wenn für den Arbeitnehmer aufgrund von Anzahl und Umfang der potentiell anwendbaren Richtlinien, eines unklar formulierten persönlichen und sachlichen Geltungsbereiches, der schwierigen Auffindbarkeit innerhalb der Richtlinienstruktur und wegen des sich laufend ändernden Inhalts unklar ist, welches Verhalten tatsächlich gefordert ist.
Weniger ist mehr
Ein gutes Richtlinienmanagement beschränkt sich auf wenige und wesentliche Richtlinien. Den größten praktischen Nutzen haben Richtlinien, die einen konkreten Bezug zu laufenden Tätigkeiten haben, z.B. wenn Wertgrenzen oder Genehmigungsvorbehalte festgelegt werden. Neben der rechtskonformen Implementierung müssen sie verständlich kommuniziert werden und bedürfen der laufenden Schulung. Es gilt: weniger ist mehr.
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